»Rutherford & Sohn«, Premiere am 11.01.2025
Githa Sowerby wurde 1876 als Tochter einer britischen Glasmacherfamilie geboren. Ihr Familiendrama »Rutherford & Son« basiert lose auf dem Leben ihres erfolgreichen Großvaters und dem ihres Vaters, der durch die Familientradition gezwungen war, in der Glashütte als Fabrikleiter zu arbeiten. Seine Misserfolge in dieser Funktion, gepaart mit seinem leichtsinnigen Umgang mit Geld, stürzten die Familie in die Armut. Githa Sowerby verdiente ihren Lebensunterhalt als Sekretärin, um ihr Einkommen als Kinderbuchautorin aufzubessern, und schließlich als Dramatikerin. Anfang 1912 wurde »Rutherford & Son« in London mit großem Erfolg uraufgeführt und geriet dann in Vergessenheit.
Alle Szenen des Dramas spielen im Wohnhaus der Rutherfords und zeichnen mit scharfem Blick auf die vielschichtigen Charaktere das Psychogramm einer Familie. Diese fast schon voyeuristische Anlage des Stücks greift Regisseur Jakab Tarnóczi mit seinem künstlerischen Team konzeptionell auf und lässt auf der Bühne immer neue Einblicke in das an Industrial Design erinnernde Haus zu. Die naturalistisch feine und präzise Spielweise entfaltet eine Sogwirkung, die das Publikum in intime Nähe zu den Figuren rückt und psychologische Mechanismen sichtbar macht.
Das Verhältnis von Rutherford Sr. zu seinen drei Kindern ist von emotionaler Distanz und Nutzdenken geprägt. Als Leiter der Glaswerke will er sein Lebenswerk an die folgende Generation übergeben. Doch seine drei Kinder lehnen die Selbstverständlichkeit der Erwartungen an sie ab und identifizieren sich nicht mit dem durch harte Arbeit und Verzicht Geschaffenen des Vaters. Alle drei streben nach einem selbstbestimmten Leben und haben kein Interesse am Fortbestehen des Familienunternehmens. Sohn Richard steht am Beginn einer geistlichen Laufbahn und orientiert sich am Wertesystem der Kirche. John Jr. hat erfolgversprechende Ideen für die Glaswerke, strebt jedoch nur nach schnellem Gewinn, mit dem er auch der Verantwortung für seine Frau Mary und den gemeinsamen Sohn gerecht zu werden hofft. Und Tochter Janet empfindet die Familie wie ein Gefängnis, in dem ihre Bedürfnisse unbeachtet und unerfüllt bleiben. Hier ringen zwei Generationen miteinander um Freiheit, Verantwortung und gegenseitiges Verständnis. Nach und nach brechen schwelende Konflikte auf und verdeutlichen die Einsamkeit jedes einzelnen Familienmitglieds. Wie blind füreinander kämpfen alle für sich selbst. Einzig Mary, Schwiegertochter Rutherfords und Mutter seines kleinen Enkels, überblickt die innere Dynamik der Familie und richtet ihr eigenes Handeln mit Konsequenz und Weitblick daran aus.
Auch nach über 100 Jahren haben die Fragestellungen des Dramas von Githa Sowerbys nicht an Aktualität verloren. Das heutige Setting und die nahezu filmische Spielweise unterstreichen ihre zeitlose Gültigkeit.
Zum Regisseur
Jakab Tarnóczi, geboren und aufgewachsen in einer kleinen Stadt in Nordungarn. Nach dem Schulabschluss wurde er an der Universität für Theater- und Filmkunst in Budapest angenommen und studierte fünf Jahre lang Bühnenregie mit dem Schwerpunkt Musiktheater. Er arbeitete an verschiedenen Theatern und mit verschiedenen Ensembles in Ungarn, so auch zweimal an der ungarischen Staatsoper. Seit 2020 ist er ständiger Regisseur und Mitglied des künstlerischen Leitungsteams des Katona József Theaters in Budapest. Zunächst inszenierte er vor allem klassische Stücke in Neuinterpretationen, doch seit 2020 arbeitet er an eigenen Adaptionen oder an ganz neuen Projekten, bei denen er zugleich Autor oder Co-Autor ist. In den letzten Jahren wurde er mehrfach für Preise des ungarischen Kritikerverbandes nominiert, wovon er viele gewinnen konnte. Seine Produktion »Melancholy Rooms« wurde zu den Hamburger Lessingtagen 2023 eingeladen. Seine Multimedia-Installation »winterreise.box« vertrat Ungarn bei der Prager Quadriennale 2023. Seine erste Arbeit in Deutschland war »Das Gastmahl« am Theater Aachen im Jahr 2024.
Anfang Jänner 2025 inszeniert Jakab Tarnóczi für das Schauspielhaus Graz »Rutherford & Sohn« von der britischen Schriftstellerin Githa Sowerby als österreichische Erstaufführung.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, ohne Pause
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